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Tabuthema Inkontinenz von Mohammad Altinawi

In der Gesellschaft oder in den Medien wird die Inkontinenz sehr selten thematisiert. Beim Urologen wird das Problem von fast jedem siebten Patienten angesprochen.

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In der Gesellschaft oder in den Medien wird die Inkontinenz sehr selten thematisiert. Beim Urologen wird das Problem von fast jedem siebten Patienten angesprochen. Nicht selten wird der Arzt wegen eines anderen Beschwerdebildes konsultiert und die Inkontinenz wird als Begleitsymptom berichtet. Oft reden die Patienten auch erst darüber, wenn sie vom Arzt direkt nach Symptomen des unwillkürlichen Wasserverlusts gefragt werden.

Die Inkontinenz ist keine Erkrankung älterer Menschen, auch viele junge Männer und Frauen leiden darunter. Es gibt drei verschiedene Formen der Erkrankung: Belastungsinkontinenz, Dranginkontinenz und Überlaufinkontinenz. Häufig tritt auch eine Kombinationsinkontinenz zwischen den genannten Klassifikationen auf. Wie der Name der Belastungsinkontinenz verrät, handelt es sich hierbei um einen Wasserverlust bei körperlicher Aktivität, z.B. Lachen, Husten, Niesen oder Laufen. Die Ursache ist mechanisch: Das „Schließsystem“ funktioniert nicht mehr richtig oder fällt sogar ganz aus. Grund hierfür ist die mit dem Alter immer schwächer werdende Elastizität des Schließmuskels, des Bindegewebes und der umliegenden Bänder. „Typische“ Patienten mit Belastungsinkontinenz sind Frauen nach mehreren vaginalen Geburten, Frauen in den Wechseljahren oder Männer nach urologischen Operationen (z.B. an der Prostata oder der Harnröhre). Beim Arzt erfolgt bei Patienten mit Belastungsinkontinenz eine ausführliche Anamnese, d.h., der Arzt fragt nach der Trinkmenge, Voroperationen, Medikamenten, Geburten und erfasst die Häufigkeit des Wasserlassens, sowohl tagsüber als auch nachts. Mittels nicht-invasiver Untersuchungen z.B. des Urins und per Ultraschall können Harnwegsinfektionen oder strukturelle Auffälligkeiten wie Restharn, Tumore, Steine oder anatomische Fehlbildungen nachgewiesen werden. Zur genauen Beurteilung der Harnblase und des Schließmuskels erfolgt bei bestimmten Symptomen eine Blasenspiegelung. Dabei kann der Schließmuskel genau beurteilt werden, z.B. ob er intakt ist, nur zum Teil arbeitet oder – vor allem nach Operationen – ob er eine Restfunktion besitzt. Nach Möglichkeit wird bei jedem Patienten und jeder Patientin eine konservative, nicht invasive Therapie angestrebt, z.B. Beckenbodengymnastik bei der Belastungsinkontinenz oder eine Gewichtsreduktion bei Adipositas.

Sollte die konservative Behandlung ohne Erfolg bleiben, kommt eine operative Therapie in Frage. Hier gibt es verschiedene, minimalinvasive Techniken vom Schlingenverfahren zur Unterstützung des Haltesystems bis hin zum künstlichen Schließmuskel als Ersatz eines beschädigten Schließmuskels. Alle Operationen können ohne große Schnitte erfolgen. Bei der Dranginkontinenz (überaktive Harnblase oder Urge-Blase) handelt es sich um ein erhöhtes Drangempfinden – fast alle Patienten berichten über eine Notwendigkeit des sofortigen Wasserlassens in kurzen Intervallen. Das bedeutet, die Betroffenen müssen bei Harndrang umgehend die Toilette aufsuchen, meistens wird sie nicht rechtzeitig erreicht. Diese Form der Inkontinenz kann die Lebensqualität signifikant einschränken, da in vielen Fällen ein Einkauf in der Stadt oder ein Theaterbesuch fast unmöglich werden. Die Betroffenen müssen, wo auch immer sie sich befinden, die nächste Toilette im Blick behalten.

Der Arzt erkundigt sich bei der ausführlichen Anamnese genau nach der Häufigkeit des Wasserlassens – das Führen eines Tagebuchs kann hierbei die Sicherung der Diagnose und der entsprechenden Therapie erheblich erleichtern. Auch bei der Dranginkontinenz erfolgen Untersuchungen des Urins und per Ultraschall sowie in bestimmten Fällen eine Blasenspiegelung zur Erfassung der Blasenkapazität und um nach Hinweisen einer Senkung der Gebärmutter, der Blase oder des Darms zu suchen. In vielen Fällen misst der Arzt den Blasendruck (Urodynamik) zur weiteren Eingrenzung der Inkontinenz. Eine Reihe an Medikamenten kann zur Linderung der Beschwerden beitragen. In vielen Fällen muss leider ein Medikamentenwechsel erfolgen, da die unterschiedlichen Medikamente nicht von jedem Patienten gleich gut vertragen werden. Sollte die orale medikamentöse Therapie nicht ausreichen, hat sich die Injektion von Botox (Botulinumtoxin) in die Harnblase gut bewährt. Hierbei tritt genau derselbe Wirkmechanismus in Kraft wie bei der BotoxBehandlung für kosmetische Zwecke. Die Entleerung der Harnblase erfolgt nämlich aufgrund der übermäßigen Kontraktion eines Muskels. Wird dieser Muskel durch das Botox in seiner Überfunktion gehemmt, werden die Beschwerden erheblich gelindert.

Zuletzt gibt es noch die Überlaufinkontinenz. Hierbei handelt es sich primär um eine Blasenentleerungsstörung, d. h. die Unfähigkeit der Harnblase sich zu entleeren. Bei zunehmender Füllung ist die Kapazität der Harnblase irgendwann ausgeschöpft, sodass der Urin überläuft. Diese Erkrankung wird häufig bei älteren Menschen beobachtet, bei denen der Urinabfluss aufgrund anatomisch bedingter Hindernisse gestört ist. Bei Männern ist die Ursache meist eine Vergrößerung der Prostata, bei Frauen liegt häufig eine Senkung der Harnblase oder der Genitalorgane vor. Die diagnostischen Schritte sind nahezu identisch mit den Untersuchungen bei der Belastungs- und Dranginkontinenz. Bei der Überlaufkontinenz muss allerdings zusätzlich auf die Funktion der Nieren geachtet werden: Bei einer länger andauernden Blasenentleerungsstörung kann ein Verlust der Nierenfunktion (Nierenversagen) entstehen. Bei der Therapie dieser Erkrankung spielt dementsprechend der Schutz des oberen Harntraktes (Nieren) eine wesentliche Rolle. Die Therapie der Überlaufinkontinenz unterscheidet sich je nach Geschlecht. Bei Männern wird versucht, die Blasenentleerung medikamentös zu optimieren, z.B. durch Erweiterung des Harnweges oder eine Verkleinerung der Prostata. Bei Frauen wird die medikamentöse Therapie hingegen selten angewendet. Stattdessen helfen Pessare dabei, die bestehende Senkung zu heben.

Bei unzureichender Wirkung der konservativen bzw. medikamentösen Therapien gibt es bei Männern zudem die Möglichkeit eines operativen Eingriffs. Dabei wird entweder die bestehende Harnröhrenenge beseitigt oder die vergrößerte Prostata verkleinert. Hierfür stehen verschiedene operative Techniken zur Verfügung, z.B. Eingriffe durch die Harnröhre (transurethral), wie die Elektroresektion oder Laserverfahren oder auch offen chirurgische Verfahren. Zudem kommen neue, minimalinvasive Methoden zum Einsatz, z.B. das Einsetzen des sogenannten Urolift-Systems, das die Prostata vom Harnweg durch den Einsatz von Metallclips wegdrückt. Auch kann die Blutversorgung der Gefäße in der Prostata unterbrochen werden (Embolisation) – ohne diese ausreichende Blutversorgung schrumpft die Prostata.

Für alle Formen der Inkontinenz gilt: Eine genaue Diagnose ist wichtig, damit die individuell richtige Therapie in die Wege geleitet werden kann. Häufig werden urologische Ärzte von Patienten gefragt, warum eine Blasenspiegelung oder eine Operation notwendig ist, wenn doch der Nachbar oder der Bekannte nur eine Tablette nehmen muss. Hier sei gesagt: Nicht jede Harninkontinenz ist gleich. Für jeden Patienten und jede Patientin muss die Anamnese gründlich und individuell erfolgen, um anschließend die richtige, effektive Therapie wählen zu können.

Lassen Sie sich gut beraten:

Dr. med. Matthias Baumgärtel

Bahnhofsplatz 5
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Telefon: 05121 - 1816

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