Trotz vieler neuer Therapieverfahren, wie beispielsweise der zellulären oder antikörpervermittelten Immuntherapie, hat die klassische Chemotherapie weiterhin einen hohen Stellenwert bei vielen Blut- und Krebserkrankungen. Das Grundprinzip der klassischen Chemotherapie ist, Krebszellen in ihrer Teilungsphase zu stören und damit abzutöten. Besonders wirksam ist sie bei Tumoren, die sich schnell teilen. Ein Nachteil ist, dass auch gesundes, sich schnell teilendes Gewebe, wie Haare, Schleimhäute und Knochenmark, beeinträchtigt wird. Haarausfall und Schleimhautschäden sind in der Regel reversibel, während das Knochenmark ab einer bestimmten Hochdosis geschädigt bleiben kann – man spricht von Myeloablation.
Die „Rettung“ des Knochenmarks nach einer Hochdosistherapie erfolgt durch zuvor gewonnene Eigenblutstammzellen, eine sogenannte autologe Blutstammzelltransplantation. Seit langem wird diese Therapie erfolgreich zur Behandlung hämatologischer Erkrankungen und Krebserkrankungen eingesetzt. Prinzipiell möglich ist sie bei Patienten bis zu 75 Jahren mit ausreichendem Allgemeinzustand. Trotz vieler neuer Therapieoptionen für Patienten mit Lymphomen, multiplem Myelom oder refraktären Keimzelltumoren bleibt die Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender autologer Stammzelltransplantation eine leitlinienkonforme Standardbehandlung. Dafür wurde am St. Bernward Krankenhaus die Station erweitert und die notwendige Logistik aufgebaut.
Das Therapieprinzip gestaltet sich folgendermaßen: Nach Abschluss konservativer Therapien können Resttumorzellen verbleiben, die durch Hochdosis-Chemotherapie zerstört werden. Gleichzeitig wird das gesunde Knochenmark fast komplett zerstört. Um dies auszugleichen, werden dem Patienten einige Wochen vor der Hochdosistherapie körpereigene Blutstammzellen entnommen, ähnlich wie bei einer Blutspende. Einige Tage zuvor spritzt sich der Patient ein Knochenmarkshormon, das die Stammzellen ins Blut überführt. Diese Methode wird auch bei gesunden Blutstammzellspendern angewendet (allogene Stammzelltransplantation). Die Stammzellen werden anschließend eingefroren und bis zur Transplantation in flüssigem Stickstoff gelagert, in Kooperation mit dem Cellular Therapy Center und dem Institut für Transfusionsmedizin und Transplantations-Engineering der Medizinischen Hochschule Hannover.
Vor der Hochdosistherapie wird der Patient gründlich untersucht, um Infektionen, Tumorerkrankungen oder Organfehlfunktionen auszuschließen. Wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, erfolgt die stationäre Aufnahme, und die Hochdosis-Chemotherapie wird über zwei bis fünf Tage infundiert. Nach einer kurzen Pause werden die eingefrorenen Eigenblutstammzellen aufgetaut und intravenös zurückgegeben. Sie besiedeln das Knochenmark neu, wodurch nach etwa zehn bis zwölf Tagen wieder eine ausreichende Blutbildung einsetzt. In der Phase der Aplasie ist der Patient auf Fremdblutprodukte angewiesen, insbesondere rote Blutkörperchen und Thrombozyten.
Die größte Gefahr unmittelbar nach der Transplantation sind Infektionen, meist durch eigene Keime des Patienten. Deshalb erfolgt die Betreuung in einem kleinen Patientenzimmer unter strengen hygienischen Maßnahmen. Bei Infekten wird sofort eine Antibiotikatherapie begonnen. Nach der Aplasiephase bessert sich die Infektionsanfälligkeit, und die Notwendigkeit für Bluttransfusionen nimmt ab. Eine zügige Entlassung ist in der Regel möglich. Über drei bis sechs Monate werden Medikamente zur Infektionsprophylaxe empfohlen, anschließend die Auffrischung aller Impfungen.
Aktuell ist die Hochdosistherapie bei folgenden Erkrankungen eine Standardtherapie:
- Multiples Myelom, Konsolidierung nach Induktionstherapie
- Primäres ZNS-Lymphom, Konsolidierungstherapie
- Mantelzelllymphom, Konsolidierungstherapie
- T-Zelllymphome, Konsolidierungstherapie
- Hochmalignes B-NHL, Spätrezidiv (>1 Jahr nach Primärtherapie)
- Follikuläres B-NHL, Option bei jungen Patienten und frühen Rezidiven innerhalb von zwei Jahren
- Keimzelltumoren des Mannes, bei multiplen Rezidiven oder Cisplatin-refraktärer Erkrankung
Dank dieser Therapie kann den Patientinnen und Patienten eine hochwirksame, heimatnahe Behandlung in Hildesheim angeboten werden.
Prof. Dr. med. Christian Könecke