Eine Schwangerschaft ist so schon eines der aufregendsten Ereignisse im Leben junger Familien. Werdende Eltern hoffen naturgemäß darauf, dass die Entwicklung ihres Kindes ohne Komplikationen verläuft. Ganz ausschließen lassen sich solche jedoch trotz moderner Medizintechnik nicht.
Letztere erlaubt allerdings inzwischen schon ab dem ersten Ultraschall – meist zwischen der neunten und zwölften Schwangerschaftswoche – eine enge Begleitung des Fötus durch Expertinnen und Experten; Probleme in der fetalen Entwicklung können daher schon sehr früh erkannt werden.
In Hildesheim kommt hinzu, dass beide große Krankenhäuser besonders auch auf Frühchen spezialisiert sind: Das Helios Klinikum Hildesheim wie auch das St. Bernward Krankenhaus erfüllen die strukturellen, personellen und operativen Voraussetzungen für die höchste mögliche Versorgungsstufe Level 1. Das bedeutet, dass sie die kleinsten und jüngsten Frühgeborenen unter 1250 Gramm und unter 28 Wochen versorgen dürfen. Und die Verantwortlichen beider Häuser haben beeindruckende und bewegende Geschichten zu erzählen.
„Schon ab der 14. Schwangerschaftswoche ist etwa ein Bauchwanddefekt sichtbar“, sagt Prof. Sylvia Glüer, Chefärztin der Kinderchirurgie im Perinatalzentrum am Hildesheimer St. Bernward Krankenhaus (BK). Bei dieser Fehlbildung sei die Bauchwand des Fötus nicht vollständig geschlossen, Organe wie der Darm können deshalb außerhalb der Bauchhöhle liegen.
Was schmerzhaft klingt, ist es für den Fötus nicht: „Vor der Geburt macht das den Kindern nichts aus, aber nach der Entbindung müssen die Organe in den Bauch“, sagt Prof. Glüer. „Dem Baby macht es nichts“, bestätigt der Neonatologe Dr. Alexander Beider, „dem Darm aber schon.“
Beider ist Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin am BK. Ihm zufolge ist der Darm besser geschützt, wenn er nicht im Fruchtwasser schwimmt. Denn dieses könne den Darm beschädigen. Deshalb überwachen die Ärztinnen und Ärzte mit regelmäßigen Kontrollen den Zustand der Darmwand. Verschlechtert sich dieser, muss das Kind geholt werden – teils Wochen vor dem Entbindungstermin.
Kinder, die vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche geboren werden, gelten als Frühgeborene. Rund acht Prozent aller Neugeborenen in Deutschland kommen vor dem Entbindungstermin zur Welt. Überlebenschancen haben Kinder ab der vollendeten 23. Schwangerschaftswoche.
„Frühgeborene Kinder haben frühgeborene Eltern“, sagt BK-Sprecherin Judith Seiffert. Deshalb biete das BK auch Sprechstunden und Kurse für junge und werdende Eltern an. Mit den Babylotsinnen und der sozialmedizinischen Nachsorge gebe es weitere Unterstützung für die ganze Familie.
Bis Ende 2026 soll außerdem im Neubau des BK ein neues Rooming-In-Angebot geschaffen werden. „Damit wollen wir ermöglichen, dass Kinder oder Mütter, die intensivmedizinisch betreut werden müssen, im selben Raum bleiben können.“ Das sei für die Bindung von Kind und Mutter sehr wichtig.
Für gewöhnlich bleiben Frühgeborene nämlich ab ihrer Entbindung bis zum ursprünglich errechneten Entbindungstermin im Krankenhaus. So war es auch im Fall eines Mädchens, das im Mai mit einem Bauchwanddefekt entbunden wurde. „In diesem Fall haben wir gewusst, dass es dem Darm nicht gut geht, deshalb haben wir das Kind geholt“, berichtet Prof. Glüer. Per Kaiserschnitt.
„Die Entscheidung war gut, denn ein kleines Stück Darm war abgestorben und bei einer Spontangeburt hätte der Darm noch mehr beschädigt werden können.“ Im schlimmsten Fall hätte das Kind seinen Darm dadurch verlieren können. „Und ohne Darm kann man nicht leben.“
Mit einem Bauchwanddefekt oder ähnlichen Anomalien müssen Neugeborene in der Regel chirurgisch versorgt werden. Das ist am BK möglich. Denn: „Wir haben hier eine eigene Klinik für Kinderchirurgie“, betont Beider.
Im Fall dieses Mädchens, das sich seit seiner Geburt gut entwickelt habe, sei es möglich gewesen, den Kaiserschnitt zu planen. Doch manchmal müsse es ganz schnell gehen. „Im Notfall muss ein Kaiserschnitt innerhalb von zehn Minuten erfolgen. Dann gibt es einen Alarm und alle Fachärzte strömen in den Kreißsaal“, sagt Dr. Beider.
Beeindruckende medizinische Leistungen kann auch Dr. Levente Bejo, Chefarzt der Neonatologie im Helios Klinikum Hildesheim, schildern. Jährlich versorge das Klinikum etwa 35 bis 40 Kinder mit einem Geburtsgewicht von unter 1500 Gramm.
„Vor zwei Jahren hatten wir ein Mädchen mit einem Geburtsgewicht von 350 Gramm“, erinnert sich Bejo. Zum Vergleich: Das durchschnittliche Gewicht von Neugeborenen liegt laut dem Deutschen Ärzteblatt bei 3480 Gramm. Kann ein Kind, das mit einem Gewicht von 350 Gramm zur Welt kommt, überleben? Ja, sagt Dr. Bejo: „Es ist mittlerweile zwei Jahre alt und hat keine Langzeitschäden davon getragen.“
Das Mädchen ist vor Erreichen der 28. Schwangerschaftswoche entbunden worden. Die ersten vier Monate seines Lebens hat es im Helios Klinikum verbracht. „Es ist Mitte Juli geboren und Anfang November nach Hause gegangen. Die Eltern können sich aussuchen, ob sie über diesen Zeitraum bleiben wollen.“
In eigenen Zimmern bekämen die Mütter dann kostenlos Wohnung und Verpflegung. „Bei uns auf der Frühgeborenenstation können die Eltern nicht übernachten“, sagt Dr. Bejo. Doch sobald die Kinder in den Nachsorgezimmern unterkämen, könnten die Mütter mit in den Zimmern schlafen.
Nicht alle Mütter würden die ganze Zeit über in der Klinik bleiben wollen, berichtet Oberärztin Dr. Kathrin Krämer. Denn: „Wenn es zu einer Frühgeburt kommt, gehen dem für gewöhnlich Probleme in der Schwangerschaft voraus.“ Solche Mütter hätten deshalb schon während der Schwangerschaft viel Zeit im Krankenhaus verbracht. Auch wenn es sich bei dem Frühchen nicht um das erste Kind handele und Zuhause noch andere Kinder versorgt werden wollen, sei es für Mütter nicht immer möglich, über Monate in der Klinik zu bleiben.
Für Familien ist eine Frühgeburt oft belastend. „Wenn man ein Kind in der 26., 27. oder 28. Schwangerschaftswoche entbindet, ist das häufig auch ein Schock für die Eltern“, weiß Dr. Bejo. Deshalb gibt es auch im Helios Klinikum ein breites Betreuungsangebot. „Wir haben eine Psychologin, die nur für die Frühgeborenen-Station zuständig ist. Wir haben eine Seelsorge und wir haben spezialisierte Schwestern.“
Der sogenannte bunte Kreis begleite die Eltern rund um die Entlassung aus dem Krankenhaus. „Die lernen die Familien schon vorher kennen, dann fahren die auch zu denen nach Hause, schauen, ob es mit dem Trinken gut klappt oder helfen bei Terminen.“
Eine eigene Kinderchirurgie gibt es im Helios nicht, dafür aber einen Kooperationsvertrag mit der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). „An mehreren Tagen der Woche kommen Chirurgen der MHH hierhin, sodass wir den Frühgeborenen auch hier eine operative Versorgung bieten können.“
Doch nicht alle Operationen an Frühgeborenen würden im Helios Klinikum vorgenommen. „Angeborene Herzfehler werden am Perinatalzentrum in Hannover operiert“, sagt Dr. Bejo. Ähnlich sei es bei kinderchirurgischen Eingriffen. „Eine Zwerchfellhernie würde man im kleinen Haus eher nicht operieren.“
Ist die Akut-Phase nach einer komplexen Operation beendet, könne das Kind aber zurück nach Hildesheim geholt und heimatnah betreut werden, betont der Mediziner.
Ein weiterer Vorteil, den Dr. Bejo hervorhebt: „Mit Dr. Guntram Schwörer, dem Chefarzt des Kinderzentrums, haben wir einen ausgewiesenen Kinderkardiologen im Haus.“
Manchmal kommt es nach Entbindungen auch zu Komplikationen bei der Mutter. Erst kürzlich habe eine Mutter intensivmedizinisch behandelt werden müssen, berichtet Dr. Bejo. „Wir haben es trotzdem hinbekommen, die Mutter mit Inkubator nach unten zu fahren, damit wir ihr das Kind auf die Brust legen konnten.“ Das sei wichtig für die frühe Bindung von Mutter und Kind.
Im Perinatalzentrum des Helios Klinikum arbeiten laut Dr. Bejo zwei Chefärzte, sieben Oberärzte und zwölf Assistenzärzte. Davon seien fünf auf die Neonatologie, also auf die Behandlung von Frühgeborenen, spezialisiert.
Joscha Röhrkasse