„Sie können ja mal testen, fassen Sie ruhig an“, sagt Dr. Markus Pietsch, lächelt und dreht seinen Kopf leicht seitlich, damit sein Gegenüber besser zugreifen und selbst ausprobieren kann, wie fest denn die flache, Ein-Euro-Stück-große Überträgerspule des Prozessors über magnetische Kräfte hinter seinem Ohr am Schädel haftet.
Es ging um die Frage, ob denn Sporttreiben mit dem Gerät kein Problem sei, und es ist nur eine kurze Szene dieses Treffens im Helios Klinikum Hildesheim – aber sie lässt erahnen, was Pietsch meint, wenn er sagt: „Ich weiß, wovon ich spreche, das gefällt den Patienten.“
Nun ist es natürlich so, dass grundsätzlich jeder Mediziner wissen sollte, worüber er redet, aber bei Markus Pietsch ist es noch etwas anderes: Er ist als Leitender Oberarzt in der HNO-Klinik am Helios Klinikum Hildesheim nicht nur der Experte für die Operationen gehörloser und hörgeschädigter Personen und das Einsetzen von Cochlea-Implantaten. Er trägt selbst seit rund 20 Jahre beidseitig solche Hörprothesen. „Und ohne würde ich hier nicht sitzen und diesen Job machen“, ist er überzeugt. Um sich gleich zu korrigieren: „Es ist kein Job, eher Berufung.“
Das hat mit seiner eigenen Geschichte zu tun, die ihn motiviert hat, zu forschen und zu operieren, um Menschen zum Hören zu verhelfen. Pietsch ist mit angeborenem Hörfehler zur Welt gekommen – und hatte das Glück, dass er früh erkannt und entsprechend behandelt wurde.
Das war in den 1980ern nicht selbstverständlich. „Damals wurden bei Kindern oft erst im Alter von vier, fünf Jahren entsprechende Diagnosen gestellt.“ Pietsch hatte das Glück, dass er schon mit sechs Monaten erste Hörgeräte bekam. 2006 und 2008 ließ er sich dann die Choclea-Implantate einsetzen, die er nicht mehr missen möchte. Und für deren Einsatz er zum gefragten Experten geworden ist.
Spezialisiert hat er sich in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), ehe er 2016 zusammen mit Prof. Dr. Burkard Schwab ans Helios Klinikum Hildesheim wechselte, um gemeinsam dort die Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, sowie Kopf- und Halschirurgie aufzubauen.
Wenn nahezu taube Patienten mit gängigen Hörgeräten, die den Schall verstärken, nicht ausreichend geholfen werden kann, dann könnte ein Termin bei Pietsch und der Einsatz von Cochlea-Implantaten das Leben verändern.
Viele schreckten vor dem Eingriff zunächst zurück, weil sie Angst vor einer OP am Kopf hätten, erzählt der Mediziner. Wenn er ihnen dann gegenüber sitzt und ihnen anschaulich von seinen eigenen Erfahrungen berichtet, ihnen ganz unverkrampft seine Geräte zeigt, dann schwinde meist die Sorge.
Der von außen unsichtbare Teil, das eigentliche Implantat aus Titan und Silikon liegt nach der rund zweistündigen Operation unter der Haut in einer flachen, in den Schädelknochen gefrästen Mulde.
Eine feine, in die Hörschnecke eingeführte Elektrode ersetzt dort die bei den Patienten nur noch schlecht oder kaum noch funktionierenden feinen Haarzellen, die sonst die Schallwellen in elektrische Reize für den Hörnerv übersetzen.
Außen am Kopf tragen Patienten, wie auch Pietsch selbst, direkt über dem Implantat einen magnetisch festgehaltenen, flachen Prozessor, dessen Betrieb mit kleinen Batterien oder Akkus läuft.
Der Moment, in dem die Patienten mit den Implantaten zum ersten Mal ihr neues Hörerlebnis haben, ist nicht nur für sie selbst meist überwältigend – auch Markus Pietsch ist immer wieder begeistert zu erleben, wie der Eingriff das Leben anderer verbessern kann. So wie er sein eigenes in neue Bahnen gelenkt hat.
„Wie in einer englischen Manufaktur“ werde in der HNO-Klinik am Helios Klinikum gearbeitet, erzählt der Leitende Oberarzt nicht ohne Stolz. Sein Team und er legten Wert auf viel Zeit für die Patienten, es gehe nicht darum, möglichst viele Implantate einzusetzen, sondern jede und jeden einzelnen Menschen umfassend zu betreuen.
2024 wurden 64 Implantate eingesetzt, und auch wenn eine Steigerung möglich sei, ohne den Qualitätsanspruch zu gefährden, würden auch künftig „auf keinen Fall“ mehr als 100 Implantate jährlich eingesetzt werden, versichert Pietsch.
Die Krankenkassen übernehmen bei entsprechenden Diagnosen und nach den notwendigen Untersuchungen in der Regel die Kosten für Cochlea-Implantate.
Die sind nicht niedrig: Braucht ein Patient beidseitig Einsätze, kommen zwischen 40.000 bis 50.000 Euro zusammen. Trägt jemand über mehrere Jahrzehnte Implantate, summieren sich die Kosten inklusive aller Nachsorgen insgesamt auf bis zu 100.000 Euro.
Für die Menschen sei das neue Hören dank Implantat ein Gewinn, berichtet Pietsch. „Fast alle sagen hinterher: Hätte ich das mal schon früher gemacht.“
Jan Furhop