Schlafstörungen Anzeige

„Für guten Schlaf sorgt man tagsüber“

Chefärztin Martina Wetzel mit einer Patientin.

„Ein Drittel unseres Lebens schlafen wir“, erklärt Martina Wetzel, Chefärztin für Geriatrie am St. Bernward Krankenhaus. Die Ärztin beschäftigt sich in ihrer Arbeit viel mit diesem Drittel. Zudem gibt es zum Thema gesunder Schlaf viele Vorurteile und unrealistische Erwartungen.

Die wichtigste Funktion des Schlafens ist die Regeneration von Körper und Geist. Während des Schlafes werden im Gehirn die neuen Informationen des Tages verarbeitet, wobei unnützes Wissen aussortiert, also vergessen, wird und wichtige Informationen, die es sich merken muss, ins Langzeitgedächtnis wandern. Wer ausreichend schläft, habe also auch ein besseres Gedächtnis, sagt Wetzel. Schlaf wirkt sich derweil auf alle wichtigen Funktionen des Gehirns und des Körpers aus – und ist somit für alle Altersklassen essenziell.

Erwachsene brauchen im Schnitt sieben bis acht Stunden Schlaf. Die wiederum teilen sich in der Regel in fünf 90-minütige Zyklen, bestehend aus Tiefschlaf, Leichtschlaf und Traumschlaf. Das Schlafbedürfnis kann aber sehr individuell sein: Manche brauchen auch mehr, andere weniger.

„Der einzige Weg, dieses persönliche Schlafbedürfnis tatsächlich herauszufinden, ist es, ein sehr regelmäßiges Leben zu führen“, rät Wetzel. Das bedeute, immer zur gleichen Zeit schlafen zu gehen, ohne innere und äußere Störfaktoren zu ruhen und zu beobachten, wann man ganz natürlich – ohne Wecker – aufwacht. Für viele sei die Urlaubszeit eine gute Möglichkeit, das auszutesten.

Wer sein Bedürfnis kennt, könne dann laut Wetzel auch mal vor- und nachschlafen. Der Mittagsschlaf falle dabei mit in die Bilanz und kann laut Wetzel auch den Nachtschlaf beeinflussen, nicht nur im Alter.

„Hinzu kommt, dass ältere Menschen aus unterschiedlichen Gründen tagsüber oft weniger aktiv und weniger kognitiv gefordert sind. Wenn man dann noch tagsüber länger schläft und früh zu Bett geht, ist man nicht selten morgens um 3 oder 4 Uhr wieder hellwach“, sagt sie.

Im Alter verändert sich das Schlafbedürfnis nicht, allerdings benötigt man mehr Pausen am Tag als in jüngeren Jahren.

Aber warum hat man am Nachmittag häufig das Bedürfnis, sich hinzulegen, wenn es doch gar nicht nötig wäre? Der Schlaf-Wach-Rhythmus wird durch die innere Uhr reguliert, die sehr stark durch Licht beeinflusst wird.

In wachen Phasen baut sich laut Wetzel im Tagesverlauf langsam ein sogenannter Schlafdruck auf. „Erst mit der Reife unseres Gehirns können wir diesem standhalten. Babys und kleine Kinder brauchen neben einem insgesamt längeren Schlaf auch noch vermehrt Schlaf tagsüber“, erklärt Wetzel. Der Schlafdruck wird dann jeden Abend wieder abgebaut.

Wird der Druck tagsüber allerdings zu stark, weil die letzte Nacht zu kurz war oder Körper und Geist aus anderen Gründen eine kurze Erholungspause brauchen, kann laut der Ärztin ein maximal 20-minütiges Powernap helfen. In dieser Zeit erreicht man noch keine Tiefschlafphase, ist danach wieder erholt und kann abends aber trotzdem gut ein- und durchschlafen, vorausgesetzt es bleibt bei einem oder zwei Naps tagsüber.

Wenn Patienten und Patientinnen häufig mit Schlafstörungen zu kämpfen haben, kümmert sich Wetzel zuerst um die sogenannte Schlafhygiene.

„Da führen wir ein Schlaftagebuch, in dem notiert wird, wann man einschläft, aufsteht, wie gut man geschlafen hat und auch wie viel Stress man derzeit hat.“ Neben aufwühlenden Ereignissen im Leben und auch Alkohol können sich auch Medikamente negativ auf den Schlaf auswirken, beispielsweise wenn sie abends eingenommen werden und aktivierend wirken. Zu wenig Aktivierung während des Tages führe allerdings dazu, dass der Schlafdruck nicht spürbar wird. Die Stellschrauben für erholsamen Schlaf liegen demnach im Alltag.

Die Störfaktoren werden in der Therapie dann, je nach Möglichkeit, beseitigt. „Und weiter helfen dann Entspannungstherapien“, rät Wetzel.

Das häufigste Problem, das Patienten und Patientinnen hätten, sei der Druck, den sie sich selbst machen, wenn sie kein Auge zukriegen. „Wenn man sich zwingen will einzuschlafen, dann funktioniert es nicht.“ Stattdessen erreiche man damit das Gegenteil: Das Schlafzimmer wird zum Angst-Ort, man wird wütend, grübelt und gerät in eine Spirale.

Das Bett sollte allerdings ein Bereich ohne Stress bleiben – Probleme soll man laut Wetzel draußen lassen. „Wenn man dazu neigt, abends im Bett nochmal alles durchzugehen, was morgen ansteht oder was heute schiefgelaufen ist, kann ein Tagebuch helfen, in dem man sich vorher einmal alles von der Seele schreibt.“

Klappt das Einschlafen trotzdem nicht, solle man lieber noch einmal aufstehen und es – gemäß dem 90-Minuten-Zyklus – eine halbe oder eine Stunde später wieder versuchen.

Bei Schlaftabletten ist derweil Vorsicht geboten – man sollte sie nur für kurze Zeit einnehmen und langfristig lieber auf entspannende Rituale und pflanzliche Mittel setzen.

„Melatonin kann helfen, das ist ein Hormon, das beim Müdewerden ausgeschüttet wird. Aber auch beruhigende Heißgetränke, Hopfen oder Baldrian können hilfreich sein.“

Und: Man kann tatsächlich auch zu viel schlafen. „Nach zu langem Schlafen kommt man nur schwer in die Gänge und fühlt sich ironischerweise wenig erholt“, erklärt Wetzel. „Dann ist man tagsüber weniger aktiv und schläft abends wieder schlecht ein.“

Nathalie Benkendorf