Foto des Tages

Hingucker: Die Dammstraßen-Ruine und ein Hildesheimer Schildbürgerstreich

Hildesheim - Empörung, Schimmel, ein Großspender – all das gehörte dazu. Es geht um ein Gebäude, das noch heute in der Hildesheimer Dammstraße steht, doch wer kennt die kuriose Geschichte dahinter?

Hildesheim - Jeden Tag veröffentlicht die Hildesheimer Allgemeine Zeitung ein Foto des Tages. Haben Sie auch einen ganz besonderen Schnappschuss gemacht? Dann senden Sie uns das Bild mit dem Betreff „Hingucker“ an redaktion@hildesheimer-allgemeine.de.


Nicht nur das Bahnhofshotel Kaiserhof begrüßte anreisende Besucher der Stadt in den 1960er-Jahren noch als verfallende Ruine, auch an anderer Stelle waren über 20 Jahre nach der Zerstörung noch die Spuren des Krieges im Stadtbild deutlich sichtbar. Zum Beispiel am „Haus der Landschaft“ in der Dammstraße. HAZ-Fotograf Theo Wetterau fotografierte das Bauwerk am 4. Januar 1968 von einem Dachfenster in der Dammstraße aus. In den folgenden Jahren ging es mit der Ruine ziemlich kurios zu – um nicht zu sagen, es war ein Schildbürgerstreich.

Der schlossähnliche Bau war 1715 im Auftrag des Domherrn Anton von Bocholtz als Kurie errichtet worden. Mit dem Ende des Hochstifts übernahm der neue Landesherr auch diese Immobilie, der hannoversche König ließ dann die Hildesheimische Landschaft einziehen. Beim Bombenangriff am 22. März 1945 brannte das Haus aus. Das Land Niedersachsen als neuer Eigentümer wollte hier zunächst das Justizzentrum errichten. Unser Foto dokumentiert allerdings, dass sich bis 1968 keiner der vielen Pläne realisieren ließ. Die ausgebrannte Ruine dominierte weiter die Kreuzung Am Steine/Dammstraße und stand in merkwürdigem Kontrast zum gegenüberliegenden Neubau des Roemer- und Pelizaeus-Museums, der 1959 fertiggestellt worden war.

1968 kam aber Bewegung in die Sache. Die Stadt konnte die „Landschaft“ nach einem Grundstückstausch mit dem Land übernehmen und wollte sie fürs Stadtarchiv und die Stadtbibliothek nutzen. Ende Februar 1971 begannen die Handwerker damit, die Ruine wieder herzurichten, so konnte immerhin der Keller für die Magazine betoniert werden. Ein Jahr später erfuhr der angehende „Hausherr“, der Leiter von Stadtarchiv und -bibliothek, Helmut von Jan (1910-1991), zu seiner Überraschung aus der Zeitung von der Stilllegung der Baustelle aus Geldmangel, ihn selbst hatte die Verwaltung nicht informiert.

Aus Protest ließ von Jan zwar schimmelnde Akten als Beweis der unhaltbaren Zustände ausstellen, aber nach dem Richtfest im September 1972 trat der Baustopp trotzdem in Kraft. Auch eine Großspende der Firma Bosch in Höhe von 900.000 Mark konnte nichts bewirken, im städtischen Haushalt fehlten 750.000 Mark für die Fortsetzung der Arbeiten. Neben der Martinikirche wartete nun die zweite Hildesheimer „Kulturruine“ auf ihren Innenausbau, ein „Schildbürgerstreich“, wie die HAZ damals bissig kommentierte. Nach viereinhalb Jahren Bauzeit konnte Helmut von Jan im Oktober 1975 endlich den „Neubau“ beziehen, der ihm bei seinem Amtsantritt 1964 versprochen worden war. Die Flächen erwiesen sich für zwei Einrichtungen allerdings rasch als zu klein. Die Stadtbibliothek zog schließlich 1994 an ihren jetzigen Standort in die Judenstraße.

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