Kolumne: Echt jetzt!

In Hildesheim auf dem Sofa den Urlaub der anderen miterleben – auch vom Ex-Chef oder der entfernten Tante: Warum bloß?

Hildesheim - Urlaubsfotos sind etwas Schönes, keine Frage. Aber was manche Menschen in Hülle und Fülle in ihrem WhatsApp-Status teilen, lässt dann doch staunen.

Wieso zeigen all diese Menschen all diese Fotos einer unkontrollierbaren Öffentlichkeit? Welche Motivation steckt dahinter? Foto: HAZ

Hildesheim - Nein, früher war nicht alles besser. Vieles anders, ja, manches womöglich leichter. Aber jedes Mal, wenn jemand die guten alten Zeiten glorifiziert, kommt das in der Regel schräg daher. Aus aktuellem Anlass muss ich allerdings doch ein Beispiel gelten lassen. Diese eine Sache, die war früher besser. Ich spreche von Urlaubsfotos. Die nämlich sah man sich NACH dem Urlaub an, oder man zeigte sie NACH dem Urlaub anderen. Zuvor trafen die meisten Menschen eine Auswahl, nur die schönsten Bilder schafften es an die Öffentlichkeit.

Erlebnisse von entfernt Bekannten in Echtzeit

Heutzutage kommen mehrere Dinge zusammen. Erstens erleben wir den Urlaub anderer in Echtzeit mit. Zweitens zeigen manche Leute deutlich mehr von ihrem Urlaub, als nötig wäre. Drittens sehen wir teils intime Urlaubsmomente von Personen, mit denen wir zig Jahre kein Wort gewechselt haben – diese Menschen sind bloß zufällig in unserer Telefonliste abgespeichert und deshalb haben wir Zugriff auf ihren WhatsApp-Status. Die nahe liegende Frage ist: Warum schaut man sich all diese Bilder an? Zwingt einen ja niemand. Bei mir ist das wie im Verkehrsunfall-Beispiel: Ich möchte zwar nicht hinschauen, tue es aber trotzdem. Und so konsumiere ich derzeit Tag für Tag rund 103 Bilder von Nord- und Ostsee, aus Mittel- und Südeuropa sowie von fernen Kontinenten. Manche Düne sehe ich aus 19 Perspektiven, oft sind Personen völlig verwackelt oder haben einen Gesichtsausdruck, den sie mit etwas Abstand wohl lieber für sich behalten hätten. Früher hätte man diese Fotos aussortiert – oder gar nicht erst entwickeln lassen.

Weniger ist manchmal mehr

Ich frage mich deshalb dann doch: Wieso veröffentlichen all diese Menschen all diese Fotos? Welche Motivation steckt dahinter? Stolz? Das Bedürfnis, andere teilhaben zu lassen? Langeweile? Um Missverständnissen vorzubeugen: Mal ein Bild eines besonderen Ortes zu teilen oder eines besonderen Momentes in der Ferne – das kann nett sein. Aber diese Schwemme wundert mich, diese 28 Bilder desselben verregneten Strandes. Weniger ist manchmal mehr, das galt schon früher – damals, als manches durchaus etwas besser war.

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