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Kleine Wahrnehmungen – große Welle

Stefan Schönfeld, Hausarzt, Schlafmediziner, Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde, Internist, Sportmediziner, Verkehrsmedizin, Lamspringe

Dies ist das Motto des diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) im November 2025, der in Hannover stattfinden wird.

Was hat aber nun dieses Motto mit Schlaf zu tun? Es geht hervor aus einer Theorie über „kleine unmerkliche Wahrnehmungen“ des Hannoveraner Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz. Er kommt in dieser Theorie zum Schluss, dass das, was bemerkenswert ist, sich aus unmerklichen Teilen zusammensetzt. Geistige Aktivität findet somit nicht nur bewusst statt. Übertragen auf die Schlafmedizin bedeutet dies: wichtige Dinge geschehen (auch) im Schlaf.

Oder bei gestörtem Schlaf auch eben nicht. Dann ist die Schlafmedizin gefragt. Die Schlafmedizin ist ein Arbeitsgebiet, dem sich Mediziner verschiedenster Fachgebiete gewidmet haben. Aufgrund der führenden Erkrankungen handelt es sich in der Regel um Lungenfachärzte, Kardiologen, Internisten, Neurologen, HNO-Ärzte oder Zahnärzte. Auch Psychologen beteiligen sich. Somit fließen Erkenntnisse aus diesen Fachgebieten zusammen, um Menschen mit Schlafstörungen zu helfen.

Denn: 20 % aller Deutschen berichten über häufiger auftretende Schlafprobleme, in den meisten Fällen seit mehr als einem Jahr bestehend. Ein Drittel unseres Lebens verbringen wir im Schlaf. Schlaf ist kein gleichförmiger Zustand, sondern ein höchst komplexer Zustand, der regelhaft in wiederkehrenden, zyklischen Stadien verläuft. Messen lassen sich komplizierte Wechselwirkungen zwischen Gehirntätigkeit, Atmung, Hormonproduktion und z. B. Körpertemperatur, die heutzutage zunehmend verstanden werden.

Anhaltend mangelnder oder nicht erholsamer Schlaf ist ein Risiko für Folgeschäden wie Demenz, Infektionen oder Krebserkrankungen. Müdigkeit erhöht das Unfallrisiko mit oft schlimmen Folgen, insbesondere im Straßenverkehr oder Beruf.

Erster Ansprechpartner in solchen Fällen ist immer der Hausarzt oder die Hausärztin. Bereits hier werden die Weichen für eine sinnvolle und möglichst rasch zum Ziel führende Diagnostik gestellt. Organische Erkrankungen wie Blutarmut, Diabetes oder zum Beispiel eine Schilddrüsenfehlfunktion müssen zunächst ausgeschlossen werden. Auch ist an Nebenwirkungen von Medikamenten zu denken. Wichtige psychische Erkrankungen wie Depression oder Angsterkrankungen müssen erwogen werden. Die weitere strukturierte Befragung kann dann den Verdacht auf eine schlafbezogene Erkrankung im engeren Sinne lenken.

Die weitere Diagnostik bei durch Schlafmangel erkrankten Menschen sollte dann bei einer Ärztin oder einem Arzt für Schlafmedizin erfolgen. Sollte es nur um die Störung anderer Personen (durch Schnarchen) gehen oder um eine orientierende Ursachenforschung beim Vorliegen von Erkrankungen wie z. B. Herzrhythmusstörungen oder Bluthochdruck, reicht eine einfache Untersuchung (Schlafapnoe-Screening) aus, wie sie auch von einigen dafür qualifizierten Ärztinnen und Ärzten anderer Fachrichtungen (HNO/Kardiologie) durchgeführt werden kann.

Die häufigsten Schlafstörungen sind psychisch bedingte Schlafstörungen und/oder schlafbezogene Atemstörungen.

1. Psychisch bedingte Schlafstörungen

Beklagt wird typischerweise eine zu lange Dauer bis zum Einschlafen und/oder ein wiederholtes nächtliches Aufwachen mit dem Unvermögen, wieder einzuschlafen. Tagesmüdigkeit spielt eine eher untergeordnete Rolle. Häufig beginnt diese Art der Schlafstörung zeitgleich mit einem psychisch belastenden Ereignis, mit familiären, beruflichen oder finanziellen Problemen. In der akuten Situation ist nächtliches Grübeln zunächst normal. Im ungünstigen Fall entwickelt sich dann aber eine Angst vor der Schlaflosigkeit.

Diese erzeugt soviel Anspannung, dass an ein Wiedereinschlafen nicht zu denken ist. Für solche Fälle gibt es leider keine einfachen, schnellen Lösungen. Enttäuschen muss man die Erwartung vieler Betroffener nach einer einfachen medikamentösen Therapie.

Laut aktueller Leitlinie der DGSM ist nach wissenschaftlicher Datenlage das effektivste Behandlungsverfahren die sogenannte kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie. Dies ist eine auf den Schlaf fokussierte psychotherapeutische Behandlung, die im Rahmen von Einzel- oder Gruppentherapie oder per digitaler Gesundheitsanwendung angeboten wird.

Über die wesentlichen Bestandteile und Möglichkeiten dieser Therapie wird der Schlafmediziner informieren, ebenso über weitere Möglichkeiten, den Schlaf zu verbessern. So sollte unter anderem das Schlafzimmer von Ablenkungen wie insbesondere dem Fernseher freigehalten werden, die Matratze sollte bequem sein und stimulierende Substanzen wie Koffein müssen vermieden werden. Der Erfolg dieser Maßnahmen fordert ein hohes Maß an Disziplin, stellt sich aber immer ein und ist dauerhaft.

2. Schlafbezogene Atemstörungen

Im Vergleich zu den psychisch bedingten Schlafstörungen steht eindeutig die Tagesmüdigkeit im Vordergrund. Der Schlaf wird von den Betroffenen in der Regel als ungestört empfunden – nicht aber vom Mitschläfer. Dies ist häufig der Schlüssel zur Diagnose. Konsultationsgrund in der Praxis ist das von Anderen gehörte Schnarchen, oft mit Atemaussetzern. In diesen Fällen sollte umgehend eine einfache schlafmedizinische Untersuchung, die bereits erwähnte Polygraphie, erfolgen. Hier werden unter anderem Atmung, der Sauerstoffwert im Blut sowie die Schlafposition aufgezeichnet. Anhand dieser Daten lässt sich das harmlose Schnarchen vom gefährlichen Schlafapnoesyndrom abgrenzen, bei dem den Betroffenen schwere Gesundheitsschäden drohen.

Etabliert hat sich die Behandlung mit einer „Schlafmaske“, mit deren Hilfe die Atemwege durch einen Luftüberdruck im Schlaf aufgehalten werden. Bei dieser Therapie werden durch neue Formen des Beatmungsdruckes sowie durch neuartige Masken inzwischen sehr komfortable Therapiemöglichkeiten entwickelt. Während die Ersteinstellung auf eine solche Therapie regelhaft im Schlaflabor erfolgt, kann die weitere Therapiebegleitung heutzutage ambulant erfolgen. Hinweise auf Therapieprobleme geben die neueren Geräte selbst, indem sie die Atmung im Schlaf registrieren. Die Einordnung dieser Befunde und eventuell Therapieoptimierung muss dann durch die betreuenden Schlafmedizinerinnen und Schlafmediziner erfolgen.

In Einzelfällen möglich ist der Einsatz eines sogenannten „Zungenschrittmachers“, der auch bereits in Hildesheim implantiert wird. Diese Geräte stimulieren im Schlaf den Zungennerv elektrisch. Dadurch schiebt sich der Zungengrund während der Einatmung etwas nach vorn, so dass mehr Platz für die Atmung im Rachenraum entsteht. Bei eher leichtgradigem Schnarchen können Zahnschienen, mit denen der Unterkiefer etwas nach vorne gezogen wird, einen ähnlichen Effekt bewirken.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Schlafmedizin wissenschaftlich herausfordernd bleibt und fortlaufend nach Erkenntnissen sucht, um Menschen mit Schlafstörungen und deren Folgeerkrankungen zu helfen. Getreu dem Motto: „Kleine Wahrnehmungen – große Welle“

Stefan Schönfeld