Die Schere, die schnell und zielsicher Gewebe aufschneidet, sieht am Bildschirm riesig aus. Ebenso das Gerät, das mithilfe schneller Stromstöße Schnittstellen verödet, so dass trotz der langanhaltenden Arbeit im Bauch des Patienten kaum Blut fließt. Doch der Eindruck täuscht: Die Kamera des Da-Vinci-Roboters, mit dessen Hilfe Dr. Sebastian Edeling im St. Bernward Krankenhaus (BK) einem Patienten eine mit Krebszellen befallene Prostata herausoperiert, zeigt dem Chefarzt der Robotik eine zehnfache Vergrößerung. Und so kann er mithilfe der in Wahrheit winzigen Schere millimetergenau schneiden, teilweise sogar noch genauer. Im Verlauf dieser OP wird es darauf noch ankommen.
Seit Februar 2024 hat das BK den Roboter in Betrieb. Seit August 2024 ist Dr. Sebastian Edeling als Chefarzt im Haus. Der 49-Jährige hatte schon seit 2011 im Vinzenz-Krankenhaus in Hannover mit Da-Vinci-Anlagen gearbeitet, gehörte bundesweit zu den ersten, die eine Blasenentfernung damit durchführten. Als das Hildesheimer Krankenhaus sich zur Anschaffung entschloss, war Edeling derjenige, der im Auftrag des Herstellers nach Hildesheim kam, um das dortige Personal im Umgang mit den Apparaten zu unterweisen. Die BK-Verantwortlichen kamen dann auf eine noch bessere Idee: Sie holten Edeling direkt ins Team. Weiterhin ist er einen Tag in der Woche bundesweit unterwegs, um Ärztinnen und Ärzte im Umgang mit dem OP-Roboter zu schulen.
Edelings OP-Team hat sechs sogenannte Hülsen in die Bauchdecke des Patienten eingesetzt. Durch vier davon werden über die Roboterarme verschiedene Werkzeuge in den Körper eingeführt, zwei weitere dienen der Assistenz zum Absaugen von Blut und zum Einbringen der Fäden. Geplant ist eine Prostata-Operation mit Nerverhalt. Das heißt: Ein Gewebebündel mit Nerven und Gefäßen, das einen Teil der Prostata umgibt, bleibt erhalten – und damit auch die Fähigkeit des Patienten, eine Erektion zu bekommen. Das macht die OP schwieriger, erhöht aber die Lebensqualität nach dem Eingriff.
Mit Blick auf die Lebensqualität ist der Eingriff mit Roboter-Unterstützung ohnehin viel schonender für den Patienten, erklärt Edeling. Die Narkose ist kürzer, der Blutverlust geringer, und dadurch, dass noch einmal präziser gearbeitet werden kann als bei einer offenen Operation, kann sich der Körper viel schneller erholen. „Nach drei Tagen können die Patienten nach Hause, sonst sind es eher zehn bis 14 Tage“, sagt der Medizinrobotik-Experte. Vorteil für das Krankenhaus: Es wird weniger Personal benötigt als bei einer „klassischen“ OP – Chefarzt, Pflegekraft und Anästhesist reichen aus.
Dr. Sebastian Edeling setzt sich, nachdem alle Vorbereitungen abgeschlossen sind, an die sogenannte Konsole des Da-Vinci-Roboters. Nun ist volle Konzentration gefragt. Mit der rechten Hand steuert Edeling die kleine Schere, mit der linken eine Art Greifer. Die Füße steuern mithilfe von Tasten unter anderem die Kamera und sorgen für die Stromstöße zur Verödung von Schnittstellen. Edeling ist mit allen vier Gliedmaßen fast permanent in Bewegung, wirkt wie eine Mischung aus jemandem, der ein Computerspiel spielt, und einem Orgelspieler. „Gaming-Erfahrung ist zumindest kein Nachteil“, sagt der 49-Jährige mit Blick auf die nötige Koordination und Konzentration und meint das durchaus ernst.
In der nächsten Stunde arbeitet er sich Stück für Stück durchs Gewebe vor, ehe schließlich Blase und Prostata, durch ein winziges Licht bestens ausgeleuchtet, auf dem Bildschirm auftauchen. Mit geübten Schnitten trennt Edeling die beiden Organe, beginnt dann, die Prostata Stück für Stück freizuschneiden. Und das erweist sich in diesem Fall als überaus knifflig. Der Nerverhalt macht Edeling das Leben schwer, immer wieder muss er das „neurovaskuläre Bündel“ an der Prostata beiseiteschieben, um besser zu sehen, auf weniger als einen Millimeter genau überlegen, wo er seine Schnitte setzt. „Schwierige Nummer heute“, gibt er, trotz der Routine einer vierstelligen Anzahl solcher Eingriffe, zwischendurch zu.
300 bis 400 Operationen mit dem Da-Vinci-Roboter gibt es im BK pro Jahr, 150 davon sind Prostata-Eingriffe. „Ziel sind zwei Einsätze am Tag“, sagt Edeling, dessen Chefarzt-Kollegen Dr. Markus Ulbrich aus der Urologie und Prof. Jörg Pelz aus der allgemein-, viszeral- und onkologischen Chirurgie die Anlage ebenfalls nutzen. Wobei Edeling betont: „Wir sprechen zwar von einem Roboter, aber der macht nichts von allein. Jeder Handgriff ist von einem Arzt gesteuert.“
Der technologische Fortschritt macht künftig aber auch andere Modelle möglich. Erst im Juni machte ein Fall Schlagzeilen, in dem ein Arzt von Florida aus mithilfe eines Da-Vinci-Roboters einen Prostata-Patienten in Angola operierte – über eine Entfernung von 11.000 Kilometern ließen sich die Instrumente ebenso bedienen wie bei Sebastian Edeling, wenn er zwei Meter vom Patienten entfernt sitzt.
Tarek Abu Ajamieh