Hildesheim - Ein Mann auf einem Fahrrad hat meine Freundin und mich neulich nachts auf dem Weg nach Hause verfolgt – habe ich dir das eigentlich schon erzählt, liebe Julia? Dass wir ihm mehrfach sagten, er soll uns in Ruhe lassen und weiterfahren, hat ihn nicht daran gehindert, auf uns einzureden, neben uns zu bleiben, immer näher zu kommen und meine Freundin mit dem Rad anzurempeln. Erst, als ich mein Handy ans Ohr hielt und laut so getan habe, als ob ich die Polizei riefe, wurden wir ihn los. Ich will mir nicht vorstellen, wie viel Angst es mir gemacht hätte, wenn ich in dieser Situation alleine gewesen wäre.
Denn bedeutet der nächtliche Heimweg nicht ohnehin Gefahr für uns Frauen? Sind wir nicht immer für den Ernstfall gewappnet? Schlüssel in der Hand. Immer wieder umgucken, ob jemand hinter uns ist. Live-Standort an eine Bezugsperson schicken. Im besten Fall telefonieren, mindestens aber eine Sprachnachricht aufnehmen oder chatten. Das Pfefferspray griffbereit in der Jackentasche stecken haben. Und selbst im Auto zu sitzen, bedeutet keine Sicherheit. Da drücken wir sofort die Zentralverriegelung, wenn wir im Dunkeln einsteigen.
Meist passiert nichts – aber was, wenn doch?
Ja, in den meisten Nächten passiert nichts, zum Glück. Doch kann man sich wirklich schützen – könnte doch eine einzige Sekunde Unaufmerksamkeit entscheidend sein? Um sich unwohl und unsicher zu fühlen, reicht ja ohnehin schon ein Typ, der ein „Nein“ nicht akzeptiert, wie bei der Begegnung mit dem Kerl auf dem Fahrrad, oder am Tresen in der Bar, oder mitten am Tag in der Fußgängerzone. Wie oft wir Frauen so etwas erleben, das kann man doch gar nicht mehr zählen. Aber müssten wir als Gesellschaft nicht etwas daran ändern, dass diese Angst vor jeglichen Übergriffen und unsere Schutzhandlungen der Normalzustand sind – in der Nacht und auch am Tag?
In der Kolumne „Unter uns“ schreiben sich die HAZ-Redakteurinnen Katharina Brecht und Julia Haller im wöchentlichen Wechsel über Themen, die Frauen um die 30 bewegen.