Hildesheim - Es gibt so Menschen, liebe Katharina, die gern senden, senden, senden – aber sehr schlecht im Empfangen sind. Ich bezeichne die gern als Radio.
Da geht’s nicht nur um das Bedürfnis, sich selbst reden zu hören, sondern vor allem darum, nichts von der Außenwelt zurückgespiegelt zu kriegen. Die anderen sollen mal schön die Klappe halten, wenn das Radio läuft. Aktuell prominentestes Beispiel: Thomas Gottschalk.
Was hat er denn, der Gottschalk?
Der monierte schon bei seinem „Wetten, dass...?!“-Abgesang, er dürfe ja gar nicht mehr sagen, was er will. Für sein neuestes Buch ist er jetzt auf Pressetour. Im Spiegel darf er über seine Angst sprechen, mit Frauen alleine Fahrstuhl zu fahren – weil die ihm am Ende sexuelle Übergriffe andichten und eine #metoo-Debatte starten könnten.
Im Kölner Treff erzählt er von seiner großen Sehnsucht nach dem Wort Zigeuner und Indianer-Federn zu Fasching, die er sich nun nicht mehr in die goldene Lockenpracht steckt. Furchtbar sei sie, diese heutige Zeit. Jetzt müsse er nachdenken, ehe er den Mund aufmacht.
Viel Gejammer
Gut, man könnte jetzt sagen: Wenn du Schiss vorm Fahrstuhl hast, nimm halt die Treppe. Man könnte auch hinterfragen, warum ihm diskriminierende Symbole und Sprache so sehr am Herzen liegen, dass es ihm offenbar die Rente verhagelt, sie nicht mehr zu benutzen.
Man könnte auch anmerken, dass es grundlegend gar keine schlechte Idee ist, die Reihenfolge „erst denken, dann sprechen“ einzuhalten. Vor allem aber nervt mich das Gejammere. Klar, früher durfte er munter vom roten Handabdruck auf der Wange seines Sohnes schwärmen, nachdem er ihm eine Ohrfeige verpasste. Viel Gegenwind gab es dafür nicht.
Ende der Radio-Zeit
Nur: Erzählen darf er das doch immer noch. In Zeitschriften und Talkrunden, zum Beispiel. Die Möglichkeit, zu senden, die hat er nach wie vor – und zwar viel mehr, als die meisten anderen Menschen. Warum also das Gejammere? Weil die Radio-Zeiten vorbei sind und es nun auch Stimmen gibt, die sagen: Thommi, halt mal den Rand? Das muss ein gestandener Mann doch aber ertragen können. Für jemanden, der ja gar nichts mehr sagen darf, redet der Herr Gottschalk jedenfalls ganz schön viel.
In der Kolumne „Unter uns“ schreiben sich die HAZ-Redakteurinnen Katharina Brecht und Julia Haller im Wechsel über Themen, die Frauen um die 30 bewegen.
