Früher galt nach größeren Bauchoperationen, zum Beispiel am Dickdarm, die Devise: Schonen, ruhen, möglichst lange nüchtern bleiben – bloß nicht zu früh das Krankenhausbett verlassen oder sich womöglich ganz normal ernähren! Patientinnen und Patienten blieben im Durchschnitt zwei Wochen im Krankenhaus. Ans Bett waren sie quasi durch Drainage, Blasenkatheter und Magensonde gefesselt, da war Aufstehen ohnehin schwierig. Heute weiß man: Das war die völlig falsche Taktik. „Mit jedem Tag, den vor allem ältere Patienten nur im Bett liegen, steigt das Risiko von Komplikationen um zehn Prozent“, erläutert Prof. Dr. Jörg Pelz, Chefarzt der Allgemein-, Viszeral- und Onkologischen Chirurgie im St. Bernward Krankenhaus (BK). Dann kann es zu Lungenentzündungen oder -embolien, Thrombosen oder Druckstellen kommen. Und: Manche ältere oder geschwächte Operierte kommen schon nach einigen Tagen Bettlägerigkeit gar nicht mehr auf die Beine.
Das Team der BK-Klinik setzt daher bei größeren geplanten Bauchoperationen, vor allem bei Eingriffen am Dickdarm, auf „Fast-Track“, was übersetzt so etwas wie „Schnellspur“ bedeutet. Der Kern des Programms: Patientinnen und Patienten werden auf die Operationen besser in Gesprächen vorbereitet und müssen davor und danach nicht so lange nüchtern bleiben wie früher üblich. Operiert wird möglichst minimalinvasiv und mit Unterstützung des Da-Vinci-Roboters, der besondere Präzision ermöglicht. Narkosen und Schmerzmittel werden gezielter dosiert – und nach dem Eingriff ist alles andere als Schonung angesagt: Die Betroffenen werden nach festen Plänen so schnell wie möglich mobilisiert. Und statt Brei gibt es schon am ersten Tag nach der Operation Vollkost.
Bereits am Tag der Operation sollen die Patientinnen und Patienten mindestens eine Viertelstunde auf einem Stuhl sitzen, am nächsten Tag vier Stunden außerhalb des Bettes verbringen, die folgenden Tage möglichst ganz. Auf diese Weise gelingt es, die Liegezeit im Krankenhaus von früher 12 bis 14 Tagen auf vier bis sechs Tage zu reduzieren. „Mancher mag denken: Das macht die Klinik nur, um schnell die Betten freizukriegen“, greift Pelz ein mögliches Vorurteil auf. Darum gehe es aber nicht: „Durch das Fast-Track-Verfahren erholen sich die Patienten besser von den Operationen, sie werden viel schneller wieder mobil und selbstständig.“ Die Vorteile seien durch Studien eindeutig belegt – besonders für Seniorinnen und Senioren: Kurzzeitpflege im Heim, die früher nach großen Eingriffen öfter nötig war, kann nach dem neuen Verfahren häufiger vermieden werden.
Grundsätzlich ist Fast-Track schon überall in der Chirurgie ein Trend, auch in der orthopädischen. Doch wenige Kliniken setzen das Programm bisher so standardisiert und konsequent um wie die Abteilung des BK. Dort wird die Fast-Track-Praxis in der Viszeral- oder Bauchchirurgie von einem externen Fachmann begleitet und ausgewertet. Die Stationsteams werden geschult. Und zwei „Fast-Track-Nurses“, Julia Kratzberg und Barbara Kahlfuß, sind für die gezielte Begleitung und Anleitung der Operierten und ihrer Angehörigen zuständig.
Die beginnt vor der Operation und richtet den Blick bereits auf die Zeit nach der Entlassung. Dann geht es auch um ganz praktische Aspekte: Den Patientinnen und Patienten wird empfohlen, vor der Aufnahme in die Klinik nicht zu Hause den Kühlschrank leerzuräumen. Im Gegenteil: Der soll eher gut gefüllt werden, denn die Operierten sind ja in der Regel nach weniger als einer Woche wieder zu Hause, dürfen (und sollen) dann auch fast alles essen. Schon beim Erstgespräch bekommen die Patienten eine 20-seitige Broschüre zur Hand, die alle Abläufe vor, während und nach der Operation genau beschreibt – vor allem das, was an Eigeninitiative von den Operierten erwartet wird. Denn ihre Aktivität ist bei dem Verfahren besonders gefragt und wichtig. Die Fast-Track-Nurses stehen auch noch als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung, wenn die Patientinnen und Patienten entlassen und wieder zu Hause sind.
„Fast-Track bedeutet auch für uns Chirurgen eine große Umstellung“, berichtet Pelz. Da musste so manche alte Leitlinie erst einmal über Bord geworfen, mancher alte Zopf abgeschnitten werden – etwa die Angst, durch zu rasche feste Ernährung könnte die Naht eines zusammengenähten Dickdarmes reißen. Oder die Selbstverständlichkeit, Drainagen zu legen, auf die das BK nach Bauchoperationen heute verzichtet. Kann das Abschaffen von solchen Behandlungsbestandteilen, die früher als gesetzt galten, für die Operierten nicht auch gesundheitliche Nachteile haben? Bergen die Veränderungen nicht auch Risiken? „Nein“, sagt Pelz mit Nachdruck, „dann würden wir es nicht machen.“ Fast-Track sei durch und durch „evidenzbasiert“, das bedeutet: Die Wirksamkeit ist wissenschaftlich und empirisch, also durch Erfahrungswerte, erwiesen.
An Grenzen stößt Fast-Track noch bei Notoperationen, denn der Grundstein des Erfolgs wird schon durch eine gute Vorbereitung gelegt. Und die ist nicht möglich, wenn eine Operation plötzlich im Rahmen eines Notfalls nötig wird. Der BK-Chefarzt rechnet aber damit, dass die Fast-Track-Chirurgie sich immer mehr durchsetzen wird, auch in anderen Bereichen.
Thomas Wedig