Hildesheim - Wann fühlt man sich eigentlich so richtig erwachsen und angekommen, liebe Julia? Also in jeder Lebenslage, in jedem Moment, in allen zwischenmenschlichen Situationen? Ich frage mich, ob man diesen Status überhaupt irgendwann erreicht. Mit Anfang 30 fühlt es sich zumindest für die meisten in meinem Umfeld noch nicht so an, da sind noch immer viele Ungewissheiten. Klar – hätte man mein 16-jähriges Ich gefragt, dann würde das wohl sagen: Mit 31 bist du alt und erwachsen. Aber irgendwie habe ich eher das Gefühl, dass wir uns alle noch immer in einer Findungsphase befinden. Ja, wir haben mehr Lebenserfahrung als in unseren 20ern, und wir wissen in vielen Bereichen, was wir wollen und was nicht. Aber trotzdem steht gefühlt gerade fast jede und jeder in meinem Alter noch immer vor den ganz großen Fragen: Mache ich den Job, der mich wirklich glücklich macht? Ist mein Partner der Richtige? Wie schaffe ich es, eine gute Mutter oder ein guter Vater zu sein, aber mich selbst nicht zu verlieren? Setze ich die richtigen Prioritäten? Und immer, immer lauert im Hintergrund diese innere Stimme: Gibt’s nicht noch was Besseres? In Zeiten, in denen es schier unendliche Möglichkeiten gibt, egal ob auf Netflix oder Tinder, scheint es kaum noch Gewissheiten zu geben. Sich auf etwas wirklich einzulassen und festzulegen, fällt vielen immer schwerer. Leute fangen Dinge an und entscheiden sich mittendrin für was anderes, sie ghosten und ziehen wortlos weiter, sie betrügen ihre Partnerinnen und Partner. Oder war das wohl schon immer so? Und hören diese existenziellen Gedanken jemals auf? Julia, ich bin heute ziemlich nachdenklich – aber so ist das eben manchmal, wenn man erwachsen ist.
In der Kolumne „Unter uns“ schreiben die HAZ-Redakteurinnen Katharina Brecht und Julia Haller im Wechsel über Themen, die nicht nur Frauen um die 30 bewegen.
