Kolumne Gefundenes Fressen

Warum Hildesheimer Kaninchenzüchter cool sind – nicht weniger cool jedenfalls als Berliner Kaninchenzüchter

Hildesheim - Nur in großen Städten sei das Leben aufregend, sagen manche. Nur dort sei es cool. In Hildesheim hingegen muss man sich mit den Krümeln des Daseins abfinden, hier ist jede Grillwurst beim Feuerwehrfest schon ein Highlight. Ist das so? Nö, meint HAZ-Kolumnistin Kathi Flau.

Die Kolumne Gefundenes Fressen erscheint jeden Montag in der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung. Foto: HAZ

Hildesheim - Neulich rief ein Freund aus Berlin an, wir plauderten eine Weile, sprachen über die Arbeit, und er fragte halb im Spaß, ob es nicht sterbenslangweilig sei, was ich mache: Lokaljournalismus. Nicht überheblich sagte er das, eher besorgt: „Was erlebt man denn in einem Kaff wie Hildesheim? Lokalpolitik, Weinfest, vielleicht noch das Jubiläum des Kaninchenzüchtervereins.“ Zum Geldverdienen sei das ja okay, aber doch kein richtiger Journalismus.

Den ganzen restlichen Tag fragte ich mich, was die richtigen Journalisten wohl gerade erlebten, während ich hier saß und tatsächlich über ein Weinfest schrieb. Auf dem Nachhauseweg kam ich nicht nur an diesem Weinfest vorbei, sondern zu allem Überfluss auch noch an zwei Lokalpolitikern. Immerhin an keinem Kaninchen. Bloß an dem Toilettenwagen, der während solcher Feste immer in der Marktstraße steht. An dem Tisch und den zwei Klappstühlen vor diesem Toilettenwagen. Oft sitzen hier die Frau und der Mann, die für die Toiletten zuständig sind, dann spielen sie Karten oder rauchen. Ein- oder zweimal sah ich sie auch eine Handvoll Münzen zählen, die sie aus einer Schale auf den Tisch gekippt hatten. An vielen Abenden hatte ich sie schon gesehen, aber stets so getan, als wären sie mir nicht aufgefallen. Nicht ein einziges Mal hatte ich sie angesprochen. Dabei hegte ich immer den leisen Verdacht, die beiden hätten ein paar unerhörte Geschichten zu erzählen.

Ob Klein Förste oder Prenzlauer Berg, das ist doch egal

Geschichten von ihren Toilettengästen vielleicht, den netten und den unverschämten, den betrunkenen und sehr betrunkenen. Geschichten von ihrem Arbeitsleben am Rand der großen Feste, von kleinen Trinkgeldern und großer Langeweile, die sie sich mit den Karten vertrieben. Das ist es, dachte ich, was uns im Journalismus Tag für Tag beschäftigt: Leute. Menschen. Ob die in Chefetagen sitzen, im Rathaus oder vor Toilettenhäuschen, in Klein Förste oder am Prenzlauer Berg, ist dabei völlig egal.

Denn es gibt nicht einen Grund, warum die Lebensläufe oder Probleme oder Träume der Leute in Metropolen wichtiger sein sollten als die der Menschen hier. Journalismus ist überall, er ist das Hier und Jetzt. Uns beschäftigen Parkgebühren, kaputte Straßen, Bierpreise, Feuerwehrfeste, die Eintracht-Handballer, WC-Fachkräfte und die Ganztagsbetreuung. Wenn, ja, wenn uns nicht gerade die Kaninchenzüchter in Atem halten.

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