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Welche Chancen bietet die Digitalisierung bei der Erkennung von Hautkrebs?

Priv.-Doz. Dr. med. habil. Holger Petering Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Dermatologie und ästhetische Medizin, Hildesheim

Tumorerkrankungen der Haut werden in der dermatologischen Praxis immer präsenter. Hierfür gibt es mehrere Gründe: Im Vordergrund steht ein Zuviel an ultravioletter Belastung über die Lebenszeit. Immer wieder ungeschützte Haut in der Kindheit und vermehrte Sonnenbrände stellen einen Risikofaktor dar.

Mit dem demographischen Wandel tritt in den nächsten Jahren eine Generation in den Ruhestand ein, die aufgrund einer deutlich höheren UV-Belastung in der Jugendzeit durch unzureichenden UV-Schutz, ein geändertes Freizeitverhalten, aber auch durch eine gestiegene Lebenserwartung ein höheres Risiko für Hautkrebs hat.

Die nachlassende immunologische Aktivität im Alter führt zu einer eingeschränkten Tumorüberwachung des Immunsystems. Dieser Prozess der Immun-Seneszenz spielt eine große Rolle. In einer älter werdenden Bevölkerung wird die Diagnose Hautkrebs weiter stark zunehmen. Schon jetzt ist das Erkennen und Behandeln von Hautkrebs ein Schwerpunkt der täglichen Arbeit in einer Hautarztpraxis.

Die Zukunft wird uns aber vor ganz neue Herausforderungen stellen. Ein leergefegter Arbeitsmarkt für medizinische Fachangestellte und eine schon jetzt begrenzte hautfachärztliche Versorgung gerade in ländlichen Regionen kommen erschwerend hinzu.

Ohne digitale Assistenzsysteme wird es zukünftig nicht gehen. Künstliche Intelligenz (KI) kann und muss uns helfen, Patientenströme zu kanalisieren. Im Idealfall trifft ein „digitaler Haut-Check“ eine Vorauswahl und entscheidet, welche Patientinnen und Patienten besonders überwacht oder direkt aufgrund einer Hautkrebserkrankung behandelt werden müssen.

Unser Fachgebiet Dermatologie ist ein visuelles Fach. Wir als untersuchende Hautärzte nehmen Rötungen und Rauigkeiten, Schuppenbildungen, Knötchen, Pusteln, Blasen und viele andere Besonderheiten an der Haut mit den Augen wahr und bewerten diese Faktoren basierend auf unserem fachärztlichen Wissen und unserer klinischen Erfahrung. Viel gesehen und verstanden zu haben, ist in der täglichen Praxisroutine viel wert.

Nichts anderes versucht die künstliche Intelligenz (KI) in Ansätzen. Digitale Verarbeitung visueller Bildinformationen und Interpretation der gewonnenen Daten anhand vorgegebener Parameter. In der Diagnostik ordnet die KI also Patientinnen und Patienten in Schubladen ein, d. h. es wird klassifiziert und kategorisiert basierend auf vorhandenen Daten.

Die „Intelligenz“ dieser Systeme ist dabei noch recht schwach. Digital trainiert wird die KI mit Aufnahmen von gutartigen und bösartigen Hauterkrankungen, deren Diagnose zuvor eindeutig gesichert wurde. Ziel dieses überwachten Lernens ist es dabei, dass in der Praxis neue Bilddaten von unklaren Hautveränderungen bekannten Mustern zugeordnet werden.

Wünschenswert wäre, dass die KI dabei eine hohe Treffsicherheit hat. Tumore sollen sicher als bösartig erkannt und nicht übersehen werden. Gleichzeitig dürfen gutartige Hautveränderungen nicht fälschlich als bösartig eingestuft werden.

Nun stellt sich die Frage, wie weit wir denn heute mit der digitalen Diagnostik in der Dermatologie sind. Vorweg: ein wirklich unüberwachtes, sich selbst verstärkendes Lernen, wie wir Mediziner es durch Studium, Weiterbildung und zunehmende Berufserfahrung erfahren, leistet momentan kein einziges der digitalen KI-Scannersysteme der Haut.

Drei Ansätze zur digitalen Diagnostik sind momentan verfügbar:

Manche gesetzliche und auch private Krankenkassen sehen einen digitalen Haut-Check als Lösung an und bieten ihren Versicherten ein App-basiertes Modell, bei dem neben Angaben zur Vorgeschichte und Hautbeschaffenheit eigene Bilder hochgeladen werden. Anschließend erhält die oder der Versicherte eine Empfehlung.

Es ist dabei nicht ersichtlich, ob die eingesandten Daten noch von einer Hautärztin oder einem Hautarzt überprüft worden sind. Auf welchem Datensatz die KI trainiert wurde und damit die „diagnostische Sicherheit“ dieser Systeme beruht, ist mehr als fraglich. Ein Facharztstandard ist nicht gegeben. Auch müssten die Krankenkassenanbieter ihre digitalen Hautcheck-Apps vor der Verbreitung und Anwendung als Medizinprodukt zertifizieren lassen (Anhang VIII, Regel 11 Verordnung (EU) 2017/745).

Gerade zur Beurteilung von neu aufgetretenen oder sich verändernden Muttermalen reichen Fotos absolut nicht aus.

Wie sieht es mit Smartphone-gestützten Anwendungen aus? Hier müssen wir unterscheiden zwischen Systemen, die nur die Smartphone-eigenen Kameras benutzen, und Systemen, die mit speziellen Aufsätzen eine auflichtmikroskopische Beurteilung ermöglichen.

Ein weiterer, ganz wesentlicher Unterschied ist der Algorithmus, den die KI zur Auswertung benutzt. Wie hat man der KI beigebracht, Gut und Böse an der Haut zu unterscheiden? Die hinterlegten Algorithmen sind oft nicht ersichtlich. Zu fordern wäre, dass die Anwendungen im Vergleich zur Beurteilung durch eine erfahrene Hautärztin oder einen erfahrenen Hautarzt geprüft wurden.

Grundsätzlich aber können diese App-basierten Anwendungen für das durch einen Aufsatz erweiterte Mobiltelefon ein praktisches Werkzeug zum Erkennen von verdächtigen Hautveränderungen im Alltag sein. Vielleicht können Regionen ohne ausreichende fachärztliche Versorgung zukünftig von derartigen Systemen profitieren und z. B. dem Hausarzt bei der Ersteinschätzung helfen.

Die Grenzen liegen darin, dass Diagnose und Therapievorschlag von Hautärztinnen und Hautärzten geprüft und bestätigt werden müssen. Niemand möchte sich schließlich einen Knoten am Nasenflügel oder am Augenlid operieren lassen, und es stellt sich hinterher heraus, dass es gar kein Hautkrebs war.

Die aufwändigsten, derzeit verfügbaren KI-basierten Scannersysteme sind nicht für die Laienanwendung oder Anwendung durch Ärzte anderer Fachgebiete gedacht. Hierbei handelt es sich um technisch hochgerüstete bildgebende Systeme mit hochauflösenden Optiken und einer standardisierten Belichtungs- und Aufnahmetechnik.

Die Algorithmen, d. h. die Muster, nach denen die Patientinnen und Patienten jeweiligen „Schubladen“ zugeordnet werden, basieren auf großen Datensätzen und sind wissenschaftlich geprüft. Schon jetzt helfen uns diese Systeme im Alltag, verdächtige Hautstellen sicher zu erkennen.

Die Treffsicherheit ist mittlerweile so gut geworden, dass auch schwierig zu beurteilende Pigmentflecken ebenso gut wie von einer oder einem weniger erfahrenen Ärztin oder Arzt eingeschätzt werden können – Facharztstandard wird jedoch noch nicht erreicht.

Sehr hilfreich sind diese aufwendigen Scannersysteme auch für die Verlaufskontrollen. Kommt eine Patientin oder ein Patient nach zwei Jahren wieder zum Screening auf Hautkrebs, kann man sich durch den digitalen Vergleich des alten und neuen Bilddatensatzes anzeigen lassen, welche Flecken sich verändert haben oder welche neu aufgetreten sind.

Grundsätzlich neigen die KI-basierten Anwendungen und Geräte tendenziell dazu, dass mehr gutartige Hautstellen als fraglich oder suspekt eingestuft werden. Bei unkritischem Einsatz würden zu viele falsch-positive Befunde entfernt werden.


Fazit: Es bleibt das geübte klinische Auge einer Hautärztin oder eines Hautarztes auch weiterhin gefragt.

Priv.-Doz. Dr. med. habil. Holger Petering