Neue Behandlungsmethoden helfen gegen die lebensbedrohliche Erkrankung – und zur Verbeugung rät der Experte, viel Rad zu fahren und Aufzüge zu meiden Anzeige

Wenn das Herz flimmert

Experte für Herzkrankheiten: Prof. Dr. med. Jürgen Tebbenjohanns, Ärztlicher Direktor am Helios Klinikum Hildesheim und Chefarzt der Klinik für Kardiologie, Rhythmologie und Intensivmedizin. Fotos: Werner Kaiser

Was ist die häufigste Erkrankung, die Menschen ins Krankenhaus führt? Krebs? Knochenbrüche? Mitnichten, sagt Prof. Dr. med. Jürgen Tebbenjohanns, Ärztlicher Direktor am Helios Klinikum Hildesheim und Chefarzt der Klinik für Kardiologie, Rhythmologie und Intensivmedizin. Es ist das Vorhofflimmern, das vor allem bei älteren Menschen sehr verbreitet ist. Unter den über 80-Jährigen ist sogar jede oder jeder Vierte davon betroffen.

Im Herz befinden sich zwei Vorhöfe, die das Blut zwischenspeichern, bevor sie es zu den Hauptkammern weiterpumpen. Sie sind somit der Taktgeber des Herzens – Tebbenjohanns vergleicht sie mit einer Zündkerze. Wenn der Zündfunke nicht mehr gleichmäßig kommt, führt das zu einer Herzrhythmusstörung. Das Blut kann dann teilweise im Vorhof stehenbleiben, bis sich ein Blutgerinnsel oder Thrombus bildet. Wenn sich dieser Thrombus löst, kann er im Körper wandern und eine Embolie auslösen. Leider passiert das häufig im Gehirn. „Das nennt man Schlaganfall“, sagt Tebbenjohanns, schränkt aber sogleich ein: „Nicht jeder Mensch, der Vorhofflimmern hat, bekommt auch einen Schlaganfall.“

Doch die Möglichkeit besteht und deshalb ist es so wichtig, die Erkrankung so früh wie möglich zu erkennen. Was gar nicht so leicht ist, denn das Vorhofflimmern kann sich auch in einem Herzen ereignen, das ansonsten kerngesund ist. Der Chefarzt spricht von einer „Elektrikstörung“. Menschen, die davon betroffen sind, haben eine um 15 bis 20 Prozent reduzierte Herzleistung. „Für den Hausgebrauch reicht das aus“, sagt der Mediziner. Aber der Weg über die Treppe hoch in den zweiten Stock könne so anstrengend werden, dass auf halber Strecke eine Pause nötig ist. Andere Formen von Belastung, wie etwa Radfahren, sind ebenfalls anstrengender als sonst. Ein weiteres Symptom ist fortwährende Müdigkeit – oder jemand kann nicht mehr auf der linken Seite schlafen, weil das Herz so unruhig schlägt.

All diese Symptome können natürlich auch andere Ursachen haben, die Ärztinnen und Ärzte bei ihrer Diagnose in Betracht ziehen. Doch mittels EKG lässt sich der Sache auf die Schliche kommen. Die klassische Prophylaxe gegen die Bildung eines Thrombus ist die Verabreichung eines Medikaments, das Blut verdünnt. Auch Betablocker kommen bei der Behandlung von Herzrhythmusstörungen zum Einsatz. Oft ist es hilfreich, keinen Alkohol mehr zu konsumieren, und sicher ist es auch gut, sich mehr zu bewegen und etwas gegen das Übergewicht zu unternehmen, wenn man zu viele Kilos auf die Waage bringt.

Aber was, wenn das alles nicht zum Erfolg führt? Eine Behandlungsmethode, die in der Medizin schon länger angewendet wird, ist die sogenannte Elektrokardioversion. Dabei wird dem Patienten oder der Patientin (natürlich unter Narkose) ein gezielter, kleiner Stromschlag in den Brustkorb versetzt. Oft wirkt das wie ein Reset, das Vorhofflimmern hört direkt auf. Allerdings: In etwa der Hälfte aller Fälle kehren die Beschwerden nach sechs bis zwölf Monaten zurück. Im Prinzip könnte man die Behandlung mehrfach wiederholen. Doch Tebbenjohanns zieht mittlerweile eine andere Lösung vor.

Das ist die noch junge Ablationstechnik. Mit dieser Methode können die problematischen Vorhofzellen gezielt angegangen werden. Denn die Probleme werden nur von bestimmten Muskelzellen ausgelöst, die der Mediziner, der auch im Beirat der Deutschen Herzstiftung sitzt, als „Chaoten“ beschreibt. Mit heutigen Untersuchungsmethoden können diese „Chaoten“ genau lokalisiert und dann per Herzkatheter verödet beziehungsweise ausgeschaltet werden. Das passiert über Wärme-, Kälte- oder Elektro-Impulse. Letzteres, die sogenannte Elektroporation, ist das neueste Verfahren.

„Wir haben jetzt bald 100 Patienten damit behandelt“, sagt Tebbenjohanns. Insgesamt zählt das Helios Klinikum Hildesheim pro Jahr rund 500 Ablationseingriffe und noch einmal genauso viele Kardioversionen. Noch vor wenigen Jahren, berichtet er, sei die Skepsis in der Medizin groß gewesen, weil die Ablation als schwerwiegender Eingriff galt. „Mittlerweile wissen wir, dass sie viel erfolgreicher ist als jede Tablette“, sagt der Kardiologe. Da das Helios Klinikum Hildesheim zu den ersten Krankenhäusern gehörte, die die Methode nutzten, habe man hier in den zurückliegenden 20 Jahren reichlich Erfahrungen gesammelt. „Dass etwas passiert, was unangenehm ist, kann bei einem von 500 Patienten mal passieren“, weiß der Chefarzt. Doch auch die langfristige Arznei-Einnahme führe immer wieder zu Komplikationen.

Tebbenjohanns plädiert dafür, die Ablation nicht als letztes Mittel zu betrachten, nachdem über Jahre andere Lösungen ausprobiert sind. Die Erfolgsquote sei umso höher, je früher man die Behandlung anwende. Was tut der 61-Jährige selbst, um ein gesundes Herz zu behalten? Wenn die Wetter-App nicht allzu finstere Prognosen liefert, fahre er mit dem Rad zur Arbeit, sagt der Heinder: „Hin und zurück sind das schon mal 20 Kilometer.“ Außerdem meidet er Fahrstühle, die es in der Klinik ja reichlich gibt, sondern nimmt grundsätzlich die Treppe.

Ralf Neite