Anzeige

Wenn Vergnügen zur Falle wird

Dr. med. Alexandra Zirk, Chefärztin Suchtmedizin und Psychotherapie, AMEOS Klinikum Hildesheim

Von etwas nicht genug kriegen zu können – das kennt jeder. Wer hat nicht schon mal eine ganze TV-Serie am Stück geguckt oder konnte bei der Lieblingsnascherei nicht aufhören? Das ist völlig normal. Problematisch wird es erst, wenn jemand die Kontrolle verliert und nicht mehr aufhören kann – obwohl es schon schadet.

Mediziner sprechen von Sucht oder Abhängigkeit, wenn eine Person ein unkontrollierbares Verlangen nach einer Substanz oder einem Verhalten entwickelt. Dabei gibt es zwei Arten: die Abhängigkeit von Stoffen wie Alkohol oder Drogen und die Abhängigkeit von Verhaltensweisen wie Glücksspiel oder Internet.

Eine Sucht liegt laut WHO vor, wenn mindestens drei bestimmte Anzeichen auftreten: Suchtdruck bedeutet ein überwältigendes Verlangen, das alle anderen Gedanken verdrängt. Kontrollverlust zeigt sich daran, dass aus „nur noch einmal“ sukzessive „immer wieder“ wird. Entzugsymptome wie Schwitzen, Zittern, Unruhe oder Angst treten auf, wenn die Substanz oder das Verhalten fehlt. Toleranz entwickelt sich, wenn immer mehr für den gleichen Effekt gebraucht wird. Vernachlässigung bedeutet, dass Freunde, Familie und Hobbys unwichtig werden. Schließlich machen Betroffene weiter, obwohl Gesundheit, Beziehungen oder Job bereits leiden.

Viele denken bei Sucht nur an Alkohol oder illegale Drogen, doch auch alltägliche Dinge können süchtig machen. Bei Substanzen sind das Zigaretten, Medikamente oder Energy-Drinks. Bei Verhaltensweisen können Smartphone, Gaming, Shopping, Sport oder auch Arbeiten zur Sucht werden. Besonders tückisch ist, dass bei Verhaltenssüchten oft das gleiche Muster abläuft: erst Anspannung, dann Erleichterung beim Ausführen, danach Schuldgefühle.

Sucht entsteht nie durch eine einzige Ursache. Gene können eine Rolle spielen, denn Sucht kann „in der Familie liegen“. Die Psyche ist wichtig, da Stress, Traumata oder Depressionen das Risiko erhöhen. Das Umfeld beeinflusst uns durch Freunde, Familie und gesellschaftliche Normen. Auch die Verfügbarkeit spielt eine Rolle: Je leichter zugänglich etwas ist, desto höher ist das Risiko. Unser Belohnungssystem im Gehirn lernt dabei: „Das war schön!“ Fehlt der „Kick“, entsteht Verlangen. Gewöhnung setzt ein und Dosen steigen, um den gewohnten Rauschzustand zu erreichen.

Sucht bleibt oft lange unentdeckt – aus Scham oder weil sich die Symptome schleichend entwickeln. Die Auswirkungen sind jedoch gravierend. Sozial führt Sucht dazu, dass Beziehungen zerbrechen, berufliche Probleme entstehen und sozialer Abstieg droht. Gesundheitlich können Depressionen, Organschäden, ein schwaches Immunsystem und ein erhöhtes Suizidrisiko auftreten. Bei Substanzen ist eine lebensgefährliche Überdosierung möglich.

Prävention ist besonders wichtig. Für Jugendliche bedeutet das Aufklärung über Risiken, soziale Bindungen, sinnvolle Freizeitgestaltung und das Erlernen von Stressmanagement. Eltern können durch offene Kommunikation, Vorbildfunktion und das Ernstnehmen von Warnsignalen vorbeugen. Bei Problemen sollten sie nicht wegschauen.

Die wichtigste Botschaft lautet: Sucht ist eine Krankheit, keine Charakterschwäche und kann jeden treffen. Sucht ist aber auch behandelbar und je früher Hilfe gesucht wird, desto besser sind die Chancen auf einen therapeutischen Erfolg. Hilfe zu suchen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Mut und Verantwortung. Dafür gibt es viele Angebote – zum Beispiel der Hausarzt, Suchtberatungsstellen, Selbsthilfegruppen und Krankenhäuser mit Suchtabteilungen können helfen. Im AMEOS Klinikum Hildesheim finden Betroffene Unterstützung im Zentrum Suchtmedizin und Psychotherapie mit einem umfangreichen Angebot im stationären, ambulanten und tagesklinischen Setting.

Dr. med. Alexandra Zirk